Die Nahe-Pionierin
Naturwein gibt es auch im Weinanbaugebiet Nahe: „PIRI Naturel“ heißt das neue Label, das dazugehörige Weingut befindet sich in Burg Layen. Dahinter steht Jungwinzerin Christine Pieroth (29), die die Familientradition fortführt, die Kellerarbeit leitet und für die Weinberge zuständig ist. Aber eben auch ihren Stil und frischen Naturwein-Wind einbringt. Seit 2018 produziert Christine ein kleines, aber feines Portfolio an Naturweinen. Die Naturwein-Szene hat sie im Nu willkommen geheißen und enthusiastisch aufgenommen. Ihre tendenziell etwas raueren, geradlinigen Weine bringen Frische und Struktur in den Mund.
Das urkundlich zum ersten Mal 1781 belegte Familien-Weingut hat seinen Sitz im Trollbachtal, das durch seine braunroten Felsformationen – Überbleibsel von frühzeitlichem Vulkanismus – geprägt wird, und zu den wärmsten und trockensten Gebieten in Rheinland-Pfalz gehört.
Das Weinanbaugebiet Nahe ist gegen Nordwesten und Norden hin durch die Mittelgebirge Hunsrück und Taunus geschützt, so dass Frostschäden im Weinberg kein Thema sind. Dank der Variationsbreite und Qualität der Böden, und der günstigen geographischen Lage, entstehen hier sehr mineralische, elegante Weine. Auch Christine schwärmt davon, mit welcher Vielfalt sie in den Weinbergen arbeiten kann, und weil sie an allen Lagen Riesling stehen hat, lässt sich diese Bandbreite an Schiefer-, Kies- und Lehmböden auch direkt am Geschmack und den Eigenheiten der Trauben und des daraus gewonnenen Weins nachvollziehen.
Tatsächlich gibt es deutschlandweit nirgends eine so große Bodenvielfalt in so engräumigen Wechsel. Zu den 14 Hektar Anbaufläche des Weinguts Weinheimer Hof gehören auch die bekannten Steillagen Goldloch, Pittermännchen und Burgberg. Neben dem schon erwähnten Riesling werden überwiegend Weiß-, Grau- und Spätburgunder, Dornfelder und Silvaner angebaut.
Nach einer Ausbildung zur Winzerin, hat Christine Weinbau in Geisenheim studiert, und auf vielen Weingütern im In- und Ausland praktische Erfahrungen gesammelt. An der Westküste Kanadas, genauer gesagt auf Vancouver Island, wo sie anderthalb Jahre lebte, machte sie sich zudem mit organic farming vertraut. Ihr Ziel ist es, nicht nur im Weinbau voranzukommen, sondern ein großes Ganzes daraus zu machen – das umfasst auch den eigenen Anbau von z.B. Kartoffeln, die dann in der Straußwirtschaft des elterlichen “Weinheimer Hof” angeboten werden können, die Produktion von Honig, das Bewirtschaften des Gartens, der ihr immer wieder als Inspirationsquelle dient. Feines Detail: die Pflanzenabbildungen auf den Flaschenetiketten stellt die Winzerin selbst her. „Die Pflanzen auf meinen Flaschen sind alles Gewächse aus und um unsere Weinberge herum. Die Rebe steht immer im Mittelpunkt, aber da passiert noch so viel mehr im Weinberg.“ Christine sammelt die Pflanzen, färbt sie ein, und erstellt einen Abdruck, der später digitalisiert wird. Die Etiketten sollen Ausdruck ihrer Verbundenheit mit der Natur sein, sagt sie.
Christine ist an der Nahe eine Naturwein-Pionierin – manchmal vermisst sie den direkten Austausch auf kurzen Wegen. Sie verfolgt aber natürlich, was die fränkische Keimzelle des Naturweins macht, und kennt die Akteur*innen in Rheinhessen. Am anderen Ende der Nahe hat Winzerinnen-Kollegin Pauline Baumberger (Glow Glow Wines) ihren Start mit Naturwein gemacht. Christine ist aber vor allem mit der Mosel verbunden: mit Jasmin Swan (Katla Wines) - die ihren Wein u.a. mit Trauben von Christine produziert – und mit Jan Klein (Staffelter Hof). „Generell pflege ich engen Kontakt zu Kollegen rund um die Welt und wir tauschen uns viel aus.“ Unabhängig davon, wieweit man voneinander entfernt sei, zähle die Offenheit und der Erfahrungsaustausch – bei Erfolgen und Misserfolgen gleichermaßen.
Langfristig strebt Christine die Umstellung des gesamten Familienweinguts auf ökologische Landwirtschaft an. Erste große Schritte wie z.B. das Weglassen von Herbiziden und die Umstellung der Bodenbearbeitung wurden bereits vor drei Jahren für alle Weinberge getan. Mittlerweile sind schöne Erfolge sichtbar: Es „zirpt, piept, und summt wieder im Weinberg“. Letztes Jahr brütete sogar eine Fasanen-Familie im Weinberg! Christine plant für das Frühjahr einen Komposttee-Braukessel, arbeitet mit Pflanzenauszügen und anderen Präparaten aus der biodynamischen Bewirtschaftung - und ist in den Naturweinbergen immer einen Schritt voraus.
Die Winzerin freut sich daran, auch mal Sachen umzusetzen, die noch nicht etabliert sind, versucht mit viel positiver Energie Dinge zu bewegen und andere dafür zu begeistern, aber natürlich gibt es auch die Tage, an denen man sein Tun in Frage stellt: „was, wenn ich jetzt im Herbst die falsche Entscheidung treffe? Wir haben schon 1 Jahr darauf hingearbeitet, dann liegt der Wein noch 1 Jahr im Keller, bevor er in den Verkauf kommt, und für das Einkommen meiner Familie sorgt... das ist schon viel Verantwortung. Aber ich gehe nicht mit ‚Angst‘ an Entscheidungen ran, das wäre nicht gut.“
Wie entscheidend ist das Terroir für Christine und die Stilistik ihrer Weine? Bei dieser Frage fällt das Stichwort „Ponderosa“ – das ist nicht nur der Name ihrer Cuvée aus Grau- und Spätburgunder, einem Rosé-Wein, sondern auch die Bezeichnung einer Gruppe von Weinbergen in Familienhand. „Das Herauskitzeln der schmeckbaren Heimat unserer Weine geht so weit, dass meine Ponderosa entstanden ist: Es ist eine Gruppe von nah beieinanderliegenden Weinbergen, die alle mit unterschiedlichen Rebsorten bepflanzt sind. Früher wurden sie rebsortenrein auf die Flasche gebracht. Für mich gehören sie aber geschmacklich und vom Gefühl zusammen. Schon seit ich mich erinnern kann, haben diese Weinberge bei uns im Betrieb den Namen Ponderosa gehabt. Wir haben quasi unseren eigenen Lagennamen vergeben. Ich gehe nun den Weg und bringe sie endlich auch zusammen auf die Flasche.“
Auf alle Fälle war ich sofort angetan vom Pet-Nat aus Dornfelder-Trauben, Geruch und Geschmack zeigen fruchtige Anklänge (Waldbeeren), neben dem sprudelnden Trinkspaß überzeugen Tiefgang und Eleganz. Ob lieber ein salziger Manchego-Käse dazu, oder etwas kleines Süßes – das bleibt jede*r selbst überlassen.
Der Silvaner ist ein anderes Kaliber: kräftiger Gripp auf der Zunge – Freund*innen der Maischegärung kommen hier voll auf ihre Kosten und dürften maximalen Trinkspaß haben. Mir eine Nuance zu viel, aber definitiv ein Erlebnis. Die Trauben für den Piri Naturel Silvaner wachsen an 60 Jahre alten Rebstöcken, die auf Schieferböden mit Lössablagerungen optimale Bedingungen haben. Nach der Handlese wurden sie 6 Wochen auf der Maische spontan vergoren - die Hälfte davon nicht entrappt, also mit dem Traubengerüst. Danach lag der Wein auf der natürlichen Vollhefe im Holzfass. Ruhig etwas Kräftiges dazu essen!
© Richard Zinken
Die Ponderosa aus Spät- und Grauburgunder hat mich umgarnt - ich bin mir sicher, dass das der Beginn einer echten Freundschaft ist – aber ganz durchschaut habe ich sie noch nicht. Die Rebstöcke gedeihen auf Schiefer, handgelesen werden kleine, kerngesunde Trauben, die eine Woche semi-carbonique vergoren und dann sanft abgepresst wurden. Sie durften die Gärung in alten Eichenfässern beenden und lagen bis kurz vor der Füllung auf der Vollhefe. Zu diesem Rosé-Naturwein etwas Leichtes essen, um die feinen Aromen nicht zu überdecken. Und etwas Sonne dazu wäre schön! Aber zurück zum Weinberg.
Sprechen die Weinreben mit Dir, oder sprichst Du mit ihnen, frage ich Christine, denn dass es da einen engen Kontakt gibt, das habe ich auch schon bei dem einen oder anderen Jungwinzer mitbekommen. „Du wirst vielleicht lachen“, antwortet sie mir, „aber ich rede schon öfters mit unsren Reben, oder singe und pfeife, wenn ich im Weinberg bin. Wir ernten die Früchte von Rebstöcken die größtenteils unser Vater, teilweise sogar noch Großvater gepflanzt hat, und da kennt man viele Weinberge sein Leben lang und hat schon einiges an Zeit miteinander verbracht... genauso kommunizieren die Weinberge mit uns, nur eben ohne Worte, man kann viel beobachten und lernen.“ Das lässt sich sicher besonders für die Zeit des Rebschnitts sagen. Dieser kann beginnen, wenn die Blätter abgefallen sind. Im Keller gären die frischen Säfte und Trauben auf der Maische, draußen herrscht wunderbare Ruhe. „Die Reben sehen aus wie kleine Gestalten. Manche tanzen, manche biegen sich akrobatisch während andere stoisch auf den Schnee warten. Man kommt auch selbst in seinen Rhythmus beim Schneiden, und oft bin ich tief in Gedanken. Es ist die Zeit der meditativen Arbeiten.“ Christine lacht, „warm eingepackt muss man aber sein“, fügt sie hinzu.
Gibt es ein größeres Projekt, das Dich umtreibt, frage ich zum Abschluss, und Christine antwortet enthusiastisch: „Oh ja, mich interessiert Permakultur und Selbstversorgung, Landwirtschaft und ihre Stellung in der Gesellschaft, regionale Kreisläufe und generell die ländliche Region, in der wir leben. Unsere Kultur und die Einbettung dieser Kultur in die Landschaft. Kultur passiert im täglichen Leben. Sie liegt vor der Haustür! Wir werden von unserer Kultur geprägt. Wir können und sollten sie aber auch prägen und mitgestalten. Es ist ein Prozess, eine Entwicklung, an der jede*r eingeladen ist teilzunehmen. Ich möchte unseren Hof noch mehr als Ort kultureller Begegnung gestalten. Zeit und Raum schaffen, damit sie sich spielerisch und mit Begeisterung entfalten kann. Daran arbeite ich. Und ein schöne Flasche Wein gehört dabei definitiv mit auf den Tisch.“ Ich bin gespannt und sicher, dass wir einiges von dieser Winzerin erwarten dürfen.
Stephanie Hanel
You can find the English version of this article on the website of our friends from TRINK magazine
Weine des Weinguts
Ponderosa
PIRI Naturel
Grauburgunder und Spätburgunder
11,5 % Vol.